31.03.2020

Persönlich

Silvio Raggini

Leiter Qualitätscenter Coop

«Coop ist es wichtig, die Qualitätssicherung in der eigenen Hand zu haben und in der Analytik über eigenes Know-how zu verfügen.»

Silvio Raggini

Seit 2009 leitet er das «Q-Center», seine Tätigkeit bei Coop begann er aber bereits 1996 als Leiter des dazu­gehörigen Zentral­labors. Zuvor wirkte er im Kantonalen Labo­ratorium Basel-Stadt als Leiter Pestizid­analytik. Silvio Raggini absolvierte in seiner Lauf­bahn ein Diplom­studium an der Uni Basel mit Fachrichtung Molekular- und Mikrobiologie, gefolgt von einem Nach­diplom­studium in Human­ernährung an der ETH Zürich. Das eidg. Diplom als Lebens­mittel­chemiker sowie fundierte Weiter­bildungen in den Bereichen Management und Leader­ship runden sein Profil ab.

Rolf Bögli

Leiter Zentrallabor Coop

«Nur wer die Möglichkeiten und Grenzen der Analyseverfahren kennt, kann die Aussagekraft von Resultaten beurteilen.»»

Rolf Bögli

1993 kam er zu Coop und wirkt seither in unterschiedlichen Funktionen im Zentrallabor in Pratteln. Hier war er zunächst verantwortlich für den Aufbau eines laborinternen Qualitätssicherungssystems mit erfolgreicher Akkreditierung nach EN 45001, heute ISO 17025. Seit 2012 hat er die Gesamtleitung des Zentrallabors inne. Rolf Bögli absolvierte die Ingenieurschule HTL beider Basel in Muttenz (heutige FHNW) mit einem Abschluss in Chemie. Kontinuierliche Weiterbildungen im Bereich Lebensmittelanalytik und Lebensmittelsicherheit ergänzen seine Laufbahn.

Breite Analysekompetenz

Silvio Raggini, Leiter des Qualitätscenters von Coop in Pratteln, ­und Rolf Bögli, Leiter des zugehörigen Zentrallabors, empfingen das Kornmagazin zu einem Gespräch mit anschliessender Laborbesichtigung.
Im 2017 eröffneten Neubaukomplex von Coop in Pratteln BL sind die Produktionsbetriebe Chocolats Halba, Sunray, Cave sowie Logistik zusammengeführt. Da befindet sich ebenfalls das Q-Center der gesamten Coop-Gruppe mit dem Zentrallabor. Die fünf Laborgruppen mit insgesamt 24 Labors und 35 Mitarbeitenden zeichnen sich durch eine breit abgestützte Analytik aus. Bereits 1905 unterhielt der damalige Verband Schweizerischer Konsumvereine (VSK) als Vorläufer der heutigen Coop erste eigene Labors. Im Vordergrund standen dabei Selbstkontrolle und Selbstschutz – etwa um mangelhafte Ware wie gewässerte Milch oder gepanschtes Öl erkennen zu können.

Herr Raggini, welche Funktion kommt dem Zentrallabor als grösster Einheit des Q-Centers zu?

Silvio Raggini:
Das Zentrallabor ist das analytische Kompetenzzentrum für die ganze Coop-Gruppe, es arbeitet ausschliesslich als interner Dienstleister. Zu den Auftraggebern des Zentral­labors gehören die Gesamt­bereiche QM Food und Non Food sowie QS Verkauf / Logistik, überdies die Fachstelle Kenn­zeichnung und Ernährung und ebenfalls die Produktions­stätten.

Eine ganze Menge Aufgaben fallen dem Q-Center für die landesweiten Verkaufsstellen von Coop zu. Zum Beispiel?

Raggini
: Für die QS-Fachbereiche aller Verkaufsstellen planen wir – ergänzend zu den unabhängigen Zertifizierungs­audits – eigene Audits, rund 3000 waren es im Jahr 2018. Wir erarbeiten zudem Monitoring­programme mit besonderem Fokus auf offene und verpackte Frisch­produkte, auf Elektro­geräte oder Textilien. Bei kritischen Produkt­gruppen führen wir Risiko­monitorings durch. 2018 nahm das Zentral­labor in den Bereichen Food und Non Food insgesamt mehr als 34'000 Proben vor, anhand derer wir die Einhaltung unserer Qualitäts­vorgaben prüften. Im Weiteren haben wir die QS-Handbücher überarbeitet. Regelmässig führen wir mit den Mitarbeitenden Schulungen durch.


Extra-Apparaturen

Die nicht in Pratteln liegenden Produktions­stätten wie Swissmill verfügen über ihre eigenen Labors. Welche Aufgaben übernimmt das Zentrallabor für diese?

Raggini:
Es geht darum, in der Gruppe Synergien zu nutzen. Wir verfügen über Spezial­wissen und teils teure Extra-Apparaturen für alle. So führen wir beispielsweise für Steinfels Swiss Belastungs­tests für Sonnen­cremen durch. Auch Bell nutzt unsere Kompetenzen als Dienst­leistungs­labor für ihre Betriebs­kontrollen. In der ganzen Gruppe tauschen wir uns über neue Risiken aus und definieren Mass­nahmen. Im Labor wird entschieden, wo spezifische Analysen eingeführt werden sollen, um neue Themen überhaupt erkennen zu können und allfällige Probleme möglichst früh in den Griff zu bekommen. Mit unseren Analysen wollen wir in erster Linie die Sicherheit gewährleisten und zeigen, dass die Waren in Ordnung sind.

Herr Bögli, auch Swissmill nutzt Ihre Dienst­leistungen. Was lässt Swissmill im Zentral­labor analysieren?

Rolf Bögli:
Für den Mühlenbetrieb untersuchen wir Endprodukte und Rohwaren. Die QS-Abteilung von Swissmill ist unsere Auftraggeberin und liefert uns Prüfpläne für ihre Produkte, anhand derer wir in einem Monitoring­programm verschiedene Aspekte der Lebens­mittelsicherheit systematisch prüfen und erfassen: unter anderem Schimmel­pilzgifte bzw. Mykotoxine, Pestizid­rückstände oder Keim­belastungen.

Ein zweiter grösserer Bereich sind Wareneingangs­kontrollen für Bio-Getreide. Um das Bio-Label zu gewähr­leisten, erhalten wir jeweils Proben jedes bei Swissmill angelieferten Lots. Diese prüfen wir in der Regel innert einer Woche – also rascher als die Aufträge in den Monitorprogrammen – allem voran auf Pestizid­rückstände und Begasungs­mittel zur Schädlings­bekämpfung in Rohwaren.

Selbstkontrollpflicht

Sie liefern Swissmill die Analyseberichte dazu. Was passiert bei Beanstandungen aus Ihrem Labor?

Bögli:
Wie überall und bei allen Produkten kann es vorkommen, dass ein gesetzlicher Wert oder ein internes Qualitätskriterium nicht erfüllt ist. Grundsätzlich untersteht ein Betrieb der Selbstkontroll­pflicht und trägt die Verantwortung über seine Ware. Die QS-Leute des Betriebs prüfen dann die nötigen Massnahmen. Je nach Abweichungs­grad von einer Vorgabe kann es im Bio-Bereich zulässig sein, den betroffenen Getreide­posten der konventionellen Ware zuzuführen. Bei gravierenden Beanstandungen wäre je nach Lieferanten­vertrag auch eine Rücklieferung der Ware möglich.

Stellt eine Auftragsanalyse fest, dass bei Ware, die schon in Verkehr gebracht wurde, ein gesetzlicher Höchstwert überschritten ist, hat der Hersteller oder Händler eine Meldepflicht an die Lebens­mittel­vollzugs­behörden. Die kantonalen Labors werden jedoch auch von sich aus aktiv und prüfen etwa die Qualität der Selbst­kontrollen in Betrieben.

Das Zentrallabor ist ISO 1725 akkreditiert. Was ist der Nutzen einer Akkreditierung?

Raggini:
Sie ist ein Muss – und auch ganz im Interesse unserer Auftraggeber wie Swissmill und deren Kunden. So können sich diese darauf verlassen, dass wir nach international akzeptierten Qualitäts­standards arbeiten. Unter der Akkreditierung nach ISO 1725 ist der Wert unserer Analysen und Berichte verbürgt.

Bögli: Alle eineinhalb Jahre führt die Schweizerische Akkreditierungs­stelle SAS als Bundes­behörde Audits bei uns durch. Alle fünf Jahre muss eine Akkreditierung komplett erneuert werden, das bringt dann ein Gross-Audit und sehr genaue und tiefe Untersuchungen mit sich. Diesbezüglich sind wir inzwischen alte Kämpfer, 1995 wurde das Zentrallabor erstmals akkreditiert, als eines der ersten Labors im Land. Ich wurde ursprünglich als Qualitäts­verant­wortlicher im Hinblick auf diese erste Akkreditierung angestellt.

Eigenes Know-how

Warum hat Coop unlängst am Standort Pratteln in ein eigenes, so grosses, neues Labor investiert?

Raggini:
Anders als europäische Detailhändler hat sich Coop dafür entschieden, das Qualitäts­management, die Qualitäts- und Selbst­kontrollen in der eigenen Hand zu haben. Wir sind ein Qualitäts­anbieter, profilieren uns am Markt über ein erstklassiges Bio-Segment und produzieren auch Eigen­marken. Das erfordert eigene Fachleute, die in Bezug auf Qualität und Lebens­mittel­sicherheit fähig sind, die Liefer­kette bis in den Verkauf gut zu durchdenken. Da wollen wir uns nicht in erster Linie auf externes Know-how verlassen.

Bögli: Einen analytischen Auftrag zu vergeben, ist etwas anderes als beim Velo­händler einen Bremsklotz ersetzen zu lassen, wo man nachher prüfen kann, ob der neu ist. In der Analytik bewegt man sich an der technischen Grenze dessen, was machbar ist. Nur wer diese kennt, kann die Aussage­kraft von Resultaten beurteilen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Es reicht nicht, sich einzig auf externe Prüfberichte abzustützen, wenn es beispiels­weise um Feinheiten in Bezug auf Wirkstoffe und Rückstände von Pestiziden geht. Selbst um Ziele einer Analyse zu definieren, ist fundiertes Wissen darüber nötig, was die aktuelle Analytik leisten kann. Eigenes Know-how ist zudem in kritischen Situationen wichtig, wo schnelle Informationen gefordert sind.

Sie arbeiten jedoch auch mit externen Labors zusammen.

Raggini:
Ja, das Zentrallabor macht für die Coop-Gruppe nicht alles selber. Wir arbeiten auch mit definierten privaten Partnerlabors zusammen. Aus Kapazitätsgründen vergeben wir Aufträge bei Bedarf extern. Bei Hygiene­proben aus den Verkaufs­stellen arbeiten wir ebenfalls mit regionalen Partner­labors zusammen. Es ist wenig sinnvoll, alle Monitoring­proben aus dem Tessin hierher zu transportieren. Das bedeutet Zeitverlust und womöglich Qualitäts­einbussen bei den Proben.

Herausforderungen

Inwiefern ist Lebensmittelbetrug eine Herausforderung?

Raggini:
Es ist und bleibt international ein zentrales Thema mit einem ewig gleichen Sachverhalt: Jene, die etwas schönen oder verfälschen, sind den Kontrollierenden typischer­weise einen Schritt voraus. Ob Fleischmischungen, gestreckte Getränke, Labeltäuschungen – da gibt es schon Dreistes, und jeder Einzelfall sorgt für Aufregung.

Im QM Food / Non Food haben wir jedoch versierte Fachleute mit einem grossen Erfahrungs­schatz. In eigenen Meetings versuchen wir voraus­schauend neue Frage­stellungen zu beleuchten. Bei kritischen Produkt­gruppen streben wir eine bestmögliche Transparenz in den Liefer­ketten an, das ermöglicht präventiv eine höhere Absicherung und verringert die Gefahr, Betrugs­opfer zu werden. Denn als Händler oder Hersteller sind wir als Opfer auch immer Täter, indem wir die Ware anbieten. Dennoch: Bei dem Riesen­sortiment von Coop ist es uns nicht möglich, allen Gefahren zu 100 Prozent zuverlässig zuvorzu­kommen.

Bögli: Das höchste Risiko entlang der ganzen Waren­kette geht generell aber immer noch von Hygiene­proble­matiken aus, die im Ernstfall zu Erkrankungen oder gar Todes­fällen führen können.

Wie ist die Situation im Hinblick auf Schadstoffe in Produkten?

Raggini:
Man kann sagen, dass sich die Lebens­mittel­sicherheit in den letzten Jahrzehnten gesamthaft stetig verbessert hat. Übers Ganze sind weniger problematische Stoffe festzustellen. Heute bringt kein Schweizer Detail­händler mehr Produkte in die Verkaufs­gestelle, wie sie in den Achtziger­jahren noch vorhanden waren. Allerdings, selbst bei Bio-Produkten sind heute manchmal Pestizid­rückstände festzu­stellen, dies allein aufgrund von Wind­ver­wehungen.

Bögli:
Eine Rolle spielt dabei, dass die heutige Analytik gegenüber früher immer geringere Rückstände messen kann. Entsprechend bringen diese andere und mehr Funde hervor, und man findet schneller eine Spur als noch vor 15 Jahren. Die effektiv gefundenen Schad­stoff­mengen haben sich insgesamt jedoch verringert. Sicherlich zurecht ist in jüngerer Zeit das Bewusst­sein für ökologische Anliegen in der Bevölkerung stark gestiegen.

Netzwerk

Zum Schluss: Gibt es Unterschiede zwischen in- und ausländischen Labors?

Raggini:
Wir beide pflegen ein sehr gutes Netzwerk, arbeiten in Fachgruppen der Lebens­mittel­industrie und des Bundesamts mit und bringen uns in Behörden­geschäften und Kongressen ein. Hierzulande herrscht da eine sehr gute Kultur der Zusammen­arbeit und ebenfalls ein gegenseitiges Interesse an gemeinsamen Lösungen. So haben wir bei der Klärung von Problemen die Möglichkeit, Stellung zu nehmen. Das ist ein Riesen­vorteil gegenüber den umgebenden Ländern, wo vor allem Juristen mit den Behörden kommunizieren. Bei uns sind es noch Ausnahmen, dass wir Dinge juristisch zur Klärung bringen wollen.

Bögli: Im gemeinsamen Austausch gewinnen alle Seiten an Wissen, um im Lebens­mittel- und Non Food-Bereich präzisere Risiko­bewertungen vorzunehmen und Entschei­dungen gezielter zu fällen und Themen, die im Kommen sind, auf der richtigen Stufe anzugehen. Die Kontakte sind sehr wertvoll.


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